Stand heute
Zahlen – Daten – Fakten
2021 entspricht dem Jahr achtzehn der MVZ-Zeitrechnung. Ausgehend von 70 bereits in 2004 gegründeten MVZ ist ihre Zahl kontinuierlich gestiegen. Die offizielle MVZ-Statistik der Bundesvereinigung der Kassenärzte (KBV) weist zum Ende des letzten bisher vorliegenden Berichtjahres (2020) für das Bundesgebiet 3.846 MVZ aus. Dies entspricht einem Zuwachs von 307 Zulassungen innerhalb eines Jahres. Aktuell – Stand Herbst 2021- gibt es bereits mehr als 4.000 haus- und fachärztliche MVZ. Nicht mitgezählt sind dabei die Zahn-MVZ, deren Statistik separat von den zahnärztlichen Fachverbänden geführt wird.
In der regionalen Perspektive fällt vor allem die scheinbar ungleiche Verteilung ins Auge. Mit Abstand bestehen die meisten MVZ (805 in 2020) in Bayern und NRW (723 in 2020), das ärztlich in die Regionen Nordrhein und Westfalen-Lippe geteilt wird. Es folgen auf dem dritten und vierten Rang Niedersachsen (341 in 2020) und Berlin (306 in 2020).
Bei den neuen Bundesländern ist Sachsen mit 205 MVZ in 2020 Spitzenreiter. Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegen im Länder-Ranking auf Platz 10, 11, 13 und 14. Betrachtet man Berlin mit allein 8,0 % aller MVZ gesondert, liegen 15,9 Prozent der restlichen Zentren in den fünf neuen Bundesländern, 75,4 Prozent dagegen in den alten. Diese Verteilung entspricht in etwa der allgemeinen Bevölkerungsverteilung. Von daher lässt sich festhalten, dass das MVZ als im Kern poliklinisch aufgestellte Arztpraxis auch in der alten Bundesrepublik angekommen ist und angenommen wird. Insgesamt korreliert die Verteilung über die Bundesländer mit der allgemeinen Bevölkerungsverteilung. Das heißt, da wo viele Menschen leben, wie in Bayern, dem Ruhrgebiet oder Berlin, gibt es grundsätzlich auch mehr MVZ.
Mehr zum ThemaAuffällig ist dagegen das leichte Übergewicht der städtischen Gründungen, was sich nicht nur am Beispiel Berlins zeigt, sondern auch innerhalb aller Flächenbundesländer erkennbar ist. Das hat zum einen mit der Spezialisierung von MVZ zu tun, die vielfach als besondere Kompetenzzentren für bestimmte Krankheitsbilder überregional Patienten anziehen und daher eher zentral angesiedelt werden. Zum anderen ist aber auch nachvollziehbar, dass größere Facharztzentren eben dort gegründet werden, wo sie allgemein gut erreichbar sind, also in der Regel nicht in Dörfern oder sehr ländlichen Gemeinden.
Entsprechend ist es wichtig zu verstehen, dass mit den MVZ die bestehende Versorgungslandschaft immer nur ergänzt werden kann. Weder ist es Ziel noch sinnvoll, dass künftig alle Haus- und grundversorgenden Ärzte in solchen MVZ tätig sind. Diese Aussage gilt auch für die Frage, ob Ärzte lieber angestellt oder selbständig niedergelassen arbeiten. Vielmehr liegt genau darin, dass Ärzte und Patienten heute die Wahl zwischen den verschiedenen Strukturen haben, ihr eigentlicher Mehrwert.
Und so ist es inzwischen ein Fakt, dass in der ambulanten Medizin immer mehr Ärzte – anstatt sich niederzulassen – eine Tätigkeit in Anstellung wählen. Dahinter stehen Veränderungen im Selbstverständnis der Ärzteschaft und der Gedanke, dass man statt sein Leben vollständig dem Beruf zu widmen, eben im Sinne einer guten Work-Life-Balance lieber ‚acht Stunden lang 100 Prozent‘ gibt, wie es eine Kampagne der jungen Ärzte einmal treffend zusammengefasst hat. Andererseits gilt: Ärzte lassen sich einfach auch deshalb anstellen, weil – anders als früher – heutzutage die Möglichkeit dazu besteht.
Ethik & Monetik
Kooperative Formen der Zusammenarbeit in der Patientenversorgung, die sich nicht mehr nur auf einen Versorgungssektor konzentrieren oder die ein Unternehmen zum Träger haben, das nur entfernt mit Medizin zu tun hat, nehmen gerade in den letzten Jahren zu und stellen in einigen Fachrichtungen bereits heute große Teile der Versorgung sicher. Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Von vielen wird diese Entwicklung mit Sorge begleitet.
Wenn etwa Kliniken sich mit Krankenhaus-MVZ in der ambulanten Versorgung engagieren, fühlen sich niedergelassene Ärzte in ihrem Selbstverständnis bedroht. Wenn dazu noch medizinferne Träger oder aber Hersteller von Medizinprodukten über Umwege selbst MVZ betreiben, dann sind Fragen nach der Unabhängigkeit der Ärzte und Qualität der Versorgung nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Was kann, darf und muss der Patient erwarten, wenn er einen Termin im MVZ wahrnimmt?
Es ist bekannt, dass die ambulante Versorgung traditionell durch selbständige Vertragsärzte sichergestellt wird, die per Definition ihrer Berufsordnung nicht gewerblich tätig sind. Entsprechend wird angenommen, dass Ärzte grundsätzlich selbstlos und eben keine Unternehmer seien. Im Gegensatz dazu steht im Falle ambulanter Versorgungsunternehmen, wie MVZ sie darstellen, der Generalverdacht im Raum, dass medizinische Aspekte durch wirtschaftliche Interessen des Trägers überlagert werden. Mittelpunkt dieser Betrachtungsweise sind die befürchteten Folgen für das Arzt-Patienten-Verhältnis, welches – und hier gibt es gar nichts zu diskutieren – unbedingt vor medizinfremden Einflüssen zu schützen ist.
Mehr zum ThemaDabei wird vorausgesetzt, dass niedergelassene Ärzte in ihrer Doppelfunktion als Arzt und Unternehmer – und anders als nichtärztliche Versorgungsträger – das wirtschaftlich Notwendige jederzeit und widerspruchsfrei mit dem ethisch Richtigen vereinen könnten. Beide wollen und müssen jedoch vom Ertrag der ärztlichen Tätigkeit leben und die Refinanzierung der Praxisausgaben absichern können. In einem Versorgungsunternehmen wird dieser Konflikt durch die Arbeitsteilung der verschiedenen beteiligten Berufsgruppen nur auf verschiedene Ebenen aufgespalten und damit deutlich sichtbar.
Das Bewusstsein, dass es bei der wirtschaftlichen Führung einer jeden Kassenarztpraxis grundsätzlich auch darum geht, einen persönlichen Gewinn zu erwirtschaften, ist dementsprechend gering ausgeprägt, bzw. fällt zumindest in der öffentlichen Debatte häufig unter den Tisch. Von daher sollte in der Debatte um nichtärztlich geführte MVZ und Versorgungsunternehmen weniger der monetäre Aspekt als vielmehr die Frage und Bewertung des Beitrags, den moderne Versorgungsstrukturen mit professioneller Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Betriebswirten zur Sicherstellung der Versorgung leisten können, im Vordergrund stehen.
Denn gerade die für MVZ prägende arbeitsteilige Verantwortung ermöglicht jeder Berufsgruppe, ihre Zeit und Fähigkeiten optimal einzusetzen und trägt dadurch dazu bei, die Versorgung der Patienten auch künftig effektiv und hochwertig sicherzustellen. Wenn Ärzten mittels einer hauptamtlichen Verwaltung viele Aufgaben z.B. der Personalführung, Praxisorganisation oder Abrechnung abgenommen werden, steht ihnen mehr Zeit für die eigentliche Behandlung zur Verfügung. Weil übrigens bei MVZ mit angestellten Ärzten eben auch die Verwaltung finanziert werden muss, verdienen angestellte Ärzte oft deutlich weniger als ihre selbständigen Kollegen.
Aussicht
– 30 Jahre in die Zukunft
Die politische Debatte um die MVZ und dem durch sie verkörperten Wandel der ambulanten Strukturen wird ohne Frage auch in den nächsten Jahren spannend bleiben. Denn der ambulante Sektor ist hinsichtlich seiner Strukturen immer noch im Fluss. Teilweise handelt es sich um eine Generationendebatte, die sich im Laufe der Zeit selbst überholen wird. An anderen Stellen geht es um Strukturveränderungen, die ohne aktives Eingreifen des Gesetzgebers oder der Ärzteschaft nicht allein passieren. Hier wird der Konsens zwischen Ärzten, Politik und Gesellschaft beständig neu verhandelt werden müssen.
Es ist absehbar, dass in diesem allgemeinen Prozess auch künftig die MVZ als besondere Strukturneuerung eine exponierte Stellung einnehmen werden, da sie symbolhaft alle Elemente vereinen, die das heutige Gesundheitswesen von dem der ‚guten, alten Zeit‘ unterscheidet. Derzeit wird mit Verweis auf die rasante Entwicklung der MVZ-Zahlen vor allem im zahnärztlichen Bereich eine neue restriktive MVZ-Gesetzgebung gefordert, mit der etwa die Zahl der Sitze pro MVZ oder auch die Zahl der MVZ pro Träger quantitativ beschränkt werden soll. Auch diskutiert wurde erneut der Ausschluss aller nichtärztlichen Trägergruppen, um die besondere Arzthoheit bei der Praxisorganisation wieder verstärkt in den Vordergrund zu rücken. Dadurch besteht in der gegenwärtigen Debatte für MVZ ein neuer Grad an Unsicherheit hinsichtlich ihrer langfristigen Entwicklungsperspektive.
Dr. med. Peter Velling
(seit 2017 Vorsitzender des Bundesverband MVZ e.V.)
Warum ich für MVZ und ihre
Weiterentwicklung eintrete
Viel wurde in letzter Zeit gesagt und geschrieben: Über MVZ, die sich nur die Rosinen der Versorgung herauspickten, über Investoren, die nur Renditezahlen vor Augen hätten, und über angestellte Ärzte, die zu wenige Patienten behandelten. Gebündelt gelesen könnte man fast meinen, Medizinische Versorgungszentren haben nun wirklich keine Daseinsberechtigung.
Wieso fühlt sich dann die Realität ganz anders an? In meiner täglichen Praxis als Hausarzt und Ärztlicher Leiter eines Klinik-MVZ erlebe ich, wie ambulante und stationäre Versorgung zusammenwachsen, wie Patienten dankbar annehmen, dass sie wie selbstverständlich bei Bedarf fachübergreifend behandelt werden, dass junge Ärzte voller Unsicherheiten, wie ambulante Versorgung funktioniert, erste Schritte in der vertragsärztlichen Versorgung machen und so längst bestehende Kapazitätsprobleme innerhalb des ambulanten Sektors beheben.
„Ja, aber …“ ließe sich einwenden. Die jungen Ärzte könnten sich doch gleich niederlassen und voll als Vertragsarzt einsteigen. Die Patienten werden doch auch in einem Ärztehaus interdisziplinär gut behandelt. Und die Kooperation mit dem Krankenhaus ist doch auch nur eine Frage von Organisation und Kommunikation.
„Das stimmt“ würde ich antworten. Nur macht das Konstrukt des MVZ es eben allen Beteiligten ein bisschen einfacher, neue Pfade in der Versorgung zu gehen und moderne Lösungen für die zunehmenden Versorgungsprobleme zu suchen. Dabei ist es weder Selbstzweck noch selbsterfüllende Prophezeiung, sondern nur eine gesellschaftsrechtliche Variante, wie sich eine Arztpraxis organisieren lässt, neben anderen.
Das Besondere ist – ganz klar – die Beteiligung nicht originär ärztlicher Berufsgruppen und Träger, die aus dem stationären Bereich kommen und/oder im Letzten gar keine Bezugspunkte zum medizinischen Versorgungsgeschehen haben. Hier ist Transparenz das oberste Gebot, denn – keine Frage -: Jeder Möglichkeit wohnt auch die Gelegenheit ihrer missbräuchlichen Anwendung inne. Doch es kann nicht die Lösung sein, deswegen rasenmäherartig alle strukturellen Freiräume abzuschaffen oder über eine rückwärtsgewandte Gesetzgebung die Entwicklung der MVZ wieder auf Null setzen zu wollen.
Kooperation ist Zukunft.
Und MVZ sind eine Struktur, mit der auf sinnvolle Art Gutes aus der
Vergangenheit an die Erfordernisse von heute angepasst wurde.