Einträge von Susanne Müller

… dass wir überzeugt sind, dass Kooperation Zukunft ist?

Wo ist mein Arzt? ist die zunehmend häufiger gestellte Frage. Kooperation und auch eine gewisse Konzentration von Expertise und Personal ist dabei der Schlüssel, die begrenzten Ressourcen zum Nutzen der Patienten möglichst effizient einzusetzen. MVZ sind eine Struktur, mit der auf sinnvolle Art Gutes aus der Vergangenheit an die Erfordernisse von heute angepasst wurde und mit denen eben dieses Ziel erreicht werden kann.

… dass Ministerin Nonnemacher MVZ für einen sehr geeigneten Rahmen für den ‚Teamsport Medizin‘ hält?

Anläßlich des 30. Jubiläums der Wiedervereinigung gab es 2020 in Potsdam eine Ausstellung zu Projekten, bei denen das Land Brandenburg Vorreiter war – wie beim Thema MVZ. Die grüne Ministerin, selbst Ärztin, betonte, dass solche Kooperationen gerade in Zeiten des demografischen Wandels zukunftsweisend seien. Insbesondere, weil sie jungen Medizinern den Übergang von der Klinik in die Niederlassung erleichtern.

… dass jede Fachgruppe Teil eines MVZ sein kann?

Insgesamt gibt es nach der Weiterbildungsordnung in der Humanmedizin über 30 verschiedene Fachgruppen, wobei sich manche, wie die Internisten noch einmal in Subspezialisierungen (Gastroenterologe, Kardiologe,  etc.) unterteilen. Hinzukommen die Zahnärzte, die eine eigenständige Fachgruppe darstellen. Sie alle können im MVZ vertreten sein, also auch nicht so geläufige Fächer wie Humangenetik, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie oder Mikrobiologie. Es gibt hier keine Vorschrift für ein ‚typisches‘ MVZ.

… dass bis heute einige frühere DDR-Polikliniken Patienten versorgen, die bei der Gesundheitsreform 2003/04 zum Vorbild der MVZ wurden?

Der Einigungsvertrag hatte in § 311 SGB V eine Bestandsgarantie für DDR-Polikliniken vorgesehen – vor allem in Brandenburg und Berlin sind solche, deswegen auch 311er-Einrichtungen genannten Gesundheitszentren bis heute aktiv. Im Vorfeld der Gesundheitsreform, mit der ab 2004 MVZ zulässig wurden, hatte es einen regelrechten Politiker-Tourismus zu ihnen gegeben, da sie mit ihrem poliklinischen Ansatz das Vorbild der MVZ waren. Heute ist ihre Rechtsgrundlage in § 402 Absatz 2 SGB V verankert.

… dass sich der Rechtsrahmen von ambulanter und stationärer Medizin beinah diametral unterscheidet?

Im Krankenhaus werden Patienten von einem Team behandelt, in das neben Ober- und Chefärzten vor allem auch Assistenzärzte eingebunden sind. In Praxis und MVZ dürfen dagegen nur ausgebildete Fachärzte tätig werden, die zudem ihre Leistungen höchstpersönlich erbringen müssen. Auch die Finanzierung ist verschieden: Stationär gibt es Honorarpauschalen, die sich an der Diagnose orientieren. Ambulant gilt dagegen ein Einzelleistungssystem, in dem jede ärztliche Tätigkeit in Form von ‚Punkten‘ bewertet ist.

… dass jede/r zweite angestellte Ärztin/Arzt nicht im MVZ, sondern in einer Niederlassungspraxis arbeitet?

Die ärztliche Tätigkeit in Anstellung ist ambulant überhaupt erst seit 2004 erlaubt. 2007 setzte die Ärzteschaft durch, dass die Anstellungsoption neben MVZ gleichermaßen auch für Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) und Arztpraxen gilt. Ende 2020 wurden ambulant rund 45.600 angestellte Ärzte gezählt, von denen weniger als die Hälfte in einem MVZ tätig war. 52,7 Prozent waren vielmehr von einem ärztlichen Kollegen/einer ärztlichen Kollegin in dessen/deren Praxis angestellt.

… dass das Ärztezentrum Büsum, das als kommunales Vorzeige-MVZ gilt, faktisch gar kein MVZ ist?

Erst im Juli 2015 wurden mit dem GKV-VSG für MVZ auch kommunale Trägerschaften zugelassen. Das Büsumer Ärztezentrum wurde bereits 2014 gegründet und nutzte dafür die Möglichkeiten nach § 105 SGB V. Formal ist es damit eine sogenannte kommunale Eigeneinrichtung. Praktisch macht das heute jedoch keinen Unterschied mehr. Insbesondere für Patienten ist das kommunale MVZ nicht von einer kommunalen Eigeneinrichtung unterscheidbar. Es gelten im Wesentlichen auch dieselben Regeln.

… dass es einen umfänglichen MVZ-Gründer-Leitfaden gibt, den Ärzte ggf. kostenfrei bei ihrer KV beziehen können?

Herausgeber ist die KBV, die einen systematischen Überblick über die Themenbereiche Unternehmensbeschreibung, Vertragsgestaltung, Investitions- und Finanzplanung sowie Management von Organisation und Qualität gibt. Checklisten, die auf die einzelnen Themen abgestimmt sind, unterstützen die Entscheidungsfindung und die konkrete Planung eines Gründungsvorhabens. Hinweise zum Bezug gibt die KBV auf ihrer Homepage.

… dass Ulla Schmidt es bis heute als Gewinn für die Versorgung empfindet, sich mit ihren Plänen zu MVZ durchgesetzt zu haben?

2020 hat die 2003/04 verantwortliche Gesundheitsministerin, rückblickend Stellung bezogen. Sie schreibt a.A.: „Bis heute bin ich für die Initiative aus Brandenburg sehr dankbar. Schon während der Einigungsverhandlungen 1990/91 haben wir als SPD dafür plädiert, die Andersartigkeit des ostdeutschen Gesundheitswesens nicht als Gefahr, sondern als Chance zur Erneuerung auch für die alte Bundesrepublik zu begreifen. Heute geben uns mehr als 3.100 MVZ Recht.“

… dass es regional gesehen die meisten MVZ in Bayern gibt?

Von Beginn an hat Bayern die MVZ-Statistik angeführt. Bis Ende 2006 fanden 24 Prozent aller MVZ-Gründungen in Bayern statt (= 159 MVZ). 2020 lag die Gesamtzahl bei bundesweit 3.846 MVZ, von denen letztlich noch jedes fünfte (21 Prozent) eine bayerische Gründung ist. Das entspricht 805 MVZ im Freistaat. In der Statistik folgen die Bundesländer Nordrhein-Westfalen (mit 723 MVZ) und dann – mit größerem Abstand – Niedersachsen (341) und Berlin (335).

… dass die Zulässigkeit von Praxisassistenzen, wie AGnES oder die NäPas, lange sehr umstritten waren?

In Deutschland gilt der Arztvorbehalt. Das heißt: Nur Ärzte dürfen medizinische Leistungen erbringen. Nichtärztliche Assistenzen, die eigenveranwortlich z. B. Hausbesuche durchführen, Medikamente richten oder Sprechstunden führen, werden teils als Bedrohung für den Arztberuf wahrgenommen. Die Debatte wurde und wird unter den Schlagworten Delegation versus Substitution geführt und mutet aus den EU-Nachbarländern sicher seltsam an, da dort vielfach nicht-ärztliche Fachkräfte wie Hebammen oder KrankenpflegerInnen sehr umfassend Verantwortung tragen.

… dass seit 2015 auch Gemeinden und Städte direkt MVZ gründen und betreiben dürfen?

Obwohl sich der Gesetzgeber 2004 eindeutig dafür ausgesprochen hatte, MVZ „nicht als Spielwiese für gescheiterte Sozialingenieure, nicht für die Sozialversicherungen und nicht für die öffentliche Hand“ zuzulassen (Horst Seehofer bei der Bundestagsdebatte 2003), wurden Kommunen ab 2015 explizit in den Kreis der zulässigen Träger aufgenommen. Man wollte es so den Gemeinden gerade in ländlichen Regionen ermöglichen, direkt gegen den Ärztemangel aktiv zu werden. Die Zahl kommunaler MVZ ist dennoch auch 2020 noch ausgesprochen gering.

… dass es in Westberlin noch bis 1958 eine einheitliche Krankenversicherung für alle Bürger gegeben hat?

Die Nachkriegsgeschichte Westberlins als Drei-Mächtestadt unerschied sich in vielen Punkten von der Entwicklung der Trizone (seit 1949: BRD). So wurde 1945 mit der Versicherungsanstalt Berlin (VAB) für die Krankenversicherung eine Einheitsversicherung eingerichtet, die tatsächlich bis 1958 tätig war. Erst dann wurde das Krankenversicherungsrecht der BRD auf Westberlin übertragen und das gegliederte System eingeführt. Aus der VAB ging die AOK Berlin hervor.

… dass viele MVZ über Zweigstellen auch in der Fläche Versorgung anbieten?

MVZ gelten als ‚Einrichtung‘ und bieten damit per Definition eine räumlich konzentrierte Versorgung an. Viele MVZ betreiben jedoch neben dem Hauptstandort auch sogenannten Zweigstellen oder Filialen, in denen an weiteren Orten, z.B. in den umliegenden Dörfern reguläre Sprechstunden angeboten werden. Organisatorisch zählt der Hauptort zusammen mit all seinen Filialen als ein MVZ.

… dass Bürger und Patienten während des Reformprozesses 2003 von der Einführung der MVZ kaum was mitbekommen haben?

Das GKV-Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 war ein ebenso umfangreiches wie stark diskutiertes Projekt. Aus Patientensicht war größter Aufreger die Einführung der Praxisgebühr in Höhe von 10 € zum 01.01.2004. Das ‚Ticket zum Doktor‘, das 2011 wieder abgeschafft wurde, war in der öffentlichen Debatte so vorherrschend, dass alle weiteren Reformelemente – wie z.B. die Diskussion um die Zulassung von MVZ – wenig Beachtung erhielten.